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Marco Franzelin

INTERVIEW

Der Gault & Millau hat ihn zum „Sommelier des Jahres 2017“ gekürt. Uns verrät der 29-Jährige, wie ein 24-Gänge-Menü ihn zu seiner Arbeit im Drei-Sterne-Restaurant Vendôme brachte und welcher Wein bei ihm zuhause steht.

Marco Franzelin mit Restaurant-Leiter Markus Klaas

30. Juni 2017

Lieber Marco, zuerst einmal Glückwunsch und Gratulation zu Deiner Auszeichnung als Sommelier des Jahres 2017 von Gault & Millau. Was bedeutet Dir diese Auszeichnung?

Diese Auszeichnung bedeutet mir sehr viel weil, wenn man sich mal die Vorgänger anschaut, mit denen man jetzt in einer Reihe steht, ist es schon sehr beeindruckend.  Sie ist eine Bestätigung für die Arbeit die wir jeden Tag machen und das wir auf dem richtigen Weg sind. Es gibt sehr, sehr viele Kollegen, die täglich einen großartigen Job machen und jeder hätte es irgendwo verdient. Aber ich bin auch nicht böse, wenn die Entscheidung auf mich fällt. Ich habe ich mich jedenfalls sehr, sehr gefreut. 

Was hat für Dich persönlich den Ausschlag gegeben, Sommelier zu werden?

Ursprünglich wollte ich Koch werden. Mit 15 Jahren habe ich meine Ausbildung in Mayerling in Niederösterreich angefangen - in einem Haus mit 18 Punkten und zwei Michelin Sternen. Meine damalige Chefin meinte, wenn ich die Gastronomie wirklich kennenlernen möchte, sollte ich beide Seiten sehen und eine Doppellehre als Koch und Kellner machen. Das ging damals in Österreich. In der Küche war ich schon nach drei Monaten fertig und danach quasi küchenfrei, weil ich nicht so talentiert war. Und so habe ich meine ersten Tage damit verbracht, mit Gerhard Retter im Weinkeller Inventur zumachen. Am zweiten Tag hat er mir das Oxford Wein-Lexikon mitgebracht - das Alte in zwei Bänden von A bis N und von N bis Z. Und das habe ich gelesen, immer mehr Interesse daran entwickelt und wurde auch zu Verkostungen mitgenommen. Seither hört es nicht auf, mit dem Lernen.

Man bleibt nie stehen im Beruf eines Sommeliers. Was waren die nächsten Stationen, die für Dich prägend waren?

Für mich war der Ausbildungsbetrieb sehr prägend. Das war ein kleinerer Familienbetrieb, wo man überall mit rein sehen konnte. Man durfte schon früh fast alles machen am Gast und war sehr eigenständig. Ich habe vom Frühstück über den Mittagsservice, Kaffee/Kuchen bis hin zum Abend und dem Gäste-Check-In eigentlich alles übernommen. Das war sehr schön. Nach meiner vierjährigen Lehre bin ich weitere vier Jahre als Sommelier geblieben. Ich hatte dort immer freie Hand - eine tolle Erfahrung, vor allem in jungen Jahren. Dann kam der Schritt nach Hamburg ins „Vier Jahreszeiten“: ein großartiges Haus, dem ich viel zu verdanken habe - insbesondere dem Hoteldirektor Ingo Peters, der mir mit knapp 22 Jahren, die Möglichkeit gab, Chefsommelier zu werden. Alles war dort eine Nummer größer und eine komplett andere Erfahrung. Ich hätte mir auch vorstellen können, die nächsten 20 bis 30 Jahre im Vier Jahreszeiten zu bleiben. Für mich als Norddeutschen fühlte sich das an, wie nach Hause kommen. Dann war ich 2010 bei Jochen Wissler im Restaurant Vendôme essen: die ganz große Reise, mit 24 Gängen. Das war für mich das beeindruckendste Essen, was ich je erlebt habe. Hier den Posten des Sommeliers zu übernehmen, war mein Traum. Und als sich dann die Gelegenheit ergab, musste ich nicht lange überlegen.

24 Gänge? Respekt!

Es waren tatsächlich 24 Gänge, ja. Heute sind im Menü bis zu 15 Gänge wählbar und viele Stammgäste nehmen auch die 15 Gänge.

Und wenn man dann noch mit Joachim Wissler als Chefkoch zusammenarbeiten kann, ist das sicher sehr spannend, interessant und lehrreich. Ihr bietet dazu auch Weinbegleitung. Wie kann man sich das vorstellen, eine Weinbegleitung zu 9 oder 10 Gängen?

Das ist schon sportlich. Wir schreiben heute nicht mehr Weinbegleitung sondern Getränkebegleitung ins Menü. Weil wir nicht nur Weine ausschenken, sondern auch mal versetzten Wein, Sherry, Spirituosen und alkoholfreie Komponenten. Das ist ein laufender Prozess. Wir probieren die Gerichte durch und überlegen uns, was wir machen können. Wir haben vieles im Keller: Biere, Sake, alles Mögliche. Wenn man spürt, der Gast hat Interesse, noch ein Schritt weiter zu gehen, dann holen wir das raus.

Was ist die größte Herausforderung, wenn man so eine Weinbegleitung zum Menü zusammenstellt? Wie geht dieser Prozess vonstatten?

In der Küche fängt alles an. Herr Wissler und sein Küchenchef Denis Jahn spielen sich gegenseitig die Bälle zu. Das ist wie Ping Pong. Der eine hat eine Idee, der andere sagt, das müssen wir ausprobieren. Und wenn man bei diesem Prozess schon dabei sein kann, ist das sehr, sehr lehrreich. Bei den Dingen schon vorneweg im Verkostungsprozess dabei zu sein, finde ich ganz wichtig. In der Begleitung muss ein Spannungsbogen aufgebaut werden, wobei keine Überreizung gesetzt werden darf. Es muss immer noch das Gesamterlebnis im Vordergrund stehen. Der Gast soll Spaß haben am Essen und nicht überfordert werden. Zwischen Weinen, die etwas intensiver sind, muss es auch gewisse Trinkweine geben, die den Gast animieren, mal ein Schlückchen mehr zu trinken. Er soll sich ja wohlfühlen und das kann er nicht, wenn er die ganze Zeit auf Spannung gehalten wird. Das was aus der Küche kommt, ist schon sehr intensiv und manchmal auch fordernd. Essen gehen sollte für mich aber vor allem Abschalten sein: Man lässt drei bis vier Stunden seine Sorgen und Probleme hinter sich und genießt einfach nur. Eine stimmige Balance ist der beste Weg.

Wenn ich die Begrifflichkeit „Begleitung“ deute, dann darf der Wein das Essen nicht dominieren. Oder soll das Essen den Wein dominieren?

Was wir nicht vergessen dürfen: Nicht nur ein Essen kann von einem Wein profitieren, sondern ein Wein auch vom Essen. Man kann Weine mit Geschmacksrichtungen verlängern, kraftvoller, ausprägender machen. Aber man kann auch viel kaputt machen. Das ist meine persönliche Ansicht. Es passt immer das, was schmeckt. Und es gibt Tage im Sommer, da heizt es hier sehr stark auf, gefühlte 50 Grad im Restaurant. Und ich verkaufe so viel Amarone wie noch nie, weil die Gäste einen kräftigen Rotwein wollen. Ich sage dann: „Wenn der Ihnen schmeckt, dann ist das die beste Wahl zu dem Essen.“ Ich dränge keinen leichten, frischen Beaujolais auf, wenn das nicht schmeckt.  Man darf bei den Begleitungen nicht am Gast vorbei agieren. Wenn der Gast gerne leichte, frische Weißweine zum Essen trinkt, dann soll er es tun. Und wenn er einen Süßwein möchte, dann soll er auch den haben. Es ist ja genug für alle da und nicht jeder hat den gleichen Geschmack - das wäre ja auch langweilig.

Eure Philosophie ist also, dem Gast neue Dinge aufzuzeigen, ohne ihn zu bevormunden?

Genau. Ich denke, gerade das bedeutet Gastgebersein: mit Empfehlungen den Abend zu gestalten. Was für mich persönlich noch viel wichtiger ist, als alles Fachwissen: Empathie. Zu wissen, was für einen Tisch habe ich da vor mir. Sind das Geschäftsleute, die eine Besprechung haben? Die wollen ganz anders umsorgt oder durch den Abend gebracht werden, als ein Pärchen, das sich gerne Dinge erzählt. Oder wirklich interessierte Gäste, die alles genau wissen möchten: „Warum servieren Sie diesen Wein zu diesem Gericht?“ Und darauf einzugehen, ist für mich noch wichtiger, als alle fachlichen Komponenten. Einfach ein Gespür für die Situation, für die Gäste zu haben.

Die Weine, die Du als Sommelier in die Weinkarte aufnimmst oder für die Weinbegleitung zusammenstellst, hast Du vorher umfangreich getestet. Kennst du die Weingüter teilweise auch persönlich?

Für mich ist wichtig, gerade in der näheren Umgebung in Deutschland und Österreich die Winzer auch persönlich zu kennen. Ich möchte wissen, welche Philosophie dahintersteckt und welche Person. Also nicht nur das Etikett, sondern auch die Gesichter und warum Dinge so gemacht werden, wie sie gemacht werden. Natürlich kann man nicht jeden Winzer kennen. Ich bin persönlich zum Beispiel ein sehr großer Übersee-Fan. Ich liebe Kalifornien, Neuseeland, Südafrika. Und da stößt man schon an seine Grenzen: Man kann nicht alles bereisen und jeden getroffen haben. Aber bei den großen Veranstaltungen gibt es die Möglichkeit, diese Persönlichkeiten kennenzulernen. Ich finde das schon wichtig - gerade für die Karte. Man kann nicht alles auf der Karte haben. Wir sind Menschen und haben persönliche Vorlieben. Mit manchen Leuten kommt man besser, mit anderen weniger gut klar. Das ist auch immer ein auschlaggebendes Kriterium, bei der Auswahl auf der Karte. Wir sind ja auch alle nur Menschen und lassen uns von persönlichen Dingen beeinflussen.

Gibt es Weingüter, die Dich besonders fasziniert haben? Wo die Gesamtmischung einfach stimmt?

Was mich sehr beeindruckt ist das Weingut Gut Oggau im Burgenland. Ein tolles Weingut! Eduard und Stephanie Tscheppe-Eselböck verfolgten in diesem Weingut von Anfang an eine klare Philosophie und ließen sich nicht von Trends beeinflussen. Die stehen voll und ganz hinter ihrem Wein - auch wenn es am Anfang schwierig war. Jetzt zahlt es sich aus. Und das Weingut Tement in der Südsteiermark. Der Armin ist im positiven Sinne ein „Verrückter“, der mit seinen Sauvignons Maßstäbe setzt und mich immer wieder beeindruckt.

Welche Weine produzieren die?

Gut Oggau macht Demeter-zertifizierte Weine. Auf den Flaschen sind Etiketten mit Gesichtern. Das soll die Stilistik des jeweiligen Weines wiederspiegeln. Und bei Tements werden die Weine teilweise so kleinparzellig ausgebaut, dass es - ähnlich wie bei Molitor - von einem Jahrgang 70 Weine gibt. Die werden am Ende nicht alle gefüllt, doch das mal zu probieren, ist beeindruckend.

Und welche Trauben haben die hauptsächlich?

Bei Gut Oggau wird Zweigelt, Traminer, Veltliner und Weißburgunder angebaut. Aber ich möchte sagen, die besten Sachen werden wirklich aus dem Blaufränkische gemacht. Und es gibt einen Rosé, der mich dem Roséwein geöffnet hat. Bis vor ein paar Jahren war ich der Meinung: Rosé ist nicht Fleisch, nicht Fisch. Aber mit der Winifred 2014er Jahrgang haben sie einen Rosé gemacht, der ein richtiger Wein war. Das war das erste Mal, das ich dachte: Rosé kann mehr. Ich habe mich dann intensiver mit dem Thema beschäftigt. Das war ein Augenöffner.

Gibt es noch andere Weingüter, die Du ähnlich einschätzt?

Hier in Deutschland bin ich als Rieslingfan natürlich vorbelastet. Die Weine von Breuer gefallen mir sehr, sehr gut. Sie sind nicht „Everybody‘s Darling“ Entweder man mag sie - oder eben nicht, denn sie haben eine sehr karge Stilistik und sind sehr puristisch in ihrer Art. Das entspricht meinem persönlichen Geschmack.

Welche Weingüter würdest Du gerne noch besuchen? Was steht bei dir auf der „Watchlist“?

Auf meiner persönlichen Watchlist stehen Weingüter wie in Kalifornien Chateau Montelena oder Ridge.  Was ich mir gerne anschauen möchte, ist Patagonien und der Süden Argentiniens -  auch landschaftlich. Faszinierend, dass hier in einer Region Wein gemacht wird, wo aufgrund des Schnees normalerweise nur Jack Wolfskin-Werbespots gedreht werden. Ansonsten:  In Südafrika das Swartland oder Neuseeland. Es gibt so viel zu sehen und  wenn man offen ist, kann man viel mitnehmen. Wir arbeiten auch in der Küche mit internationalen Sachen. Klar, ist das Thema Regionalität ein wichtiger Gedankenaspekt, doch die Welt dreht sich so schnell und wenn man sich Dingen verschließt, dann verpasst man Einiges.

Das ist ein gutes Stichwort. Du hast sicher Gäste, die in Sachen Wein und Champagner eher zum Mainstream zählen und auf die großen Brands setzen. Doch gerade in der Region Bordeaux genauso wie in der Champagne gibt es kleinere Häuser, die statt in Marketing und Branding, in das Produkt investieren und damit beim Verbraucher weniger visibel sind. Wie führst du diese Gäste an neue Dinge heran, die keine Markenprodukte sind?

Unsere Gäste haben schon wegen der Sterne ein gewisses Grundvertrauen. Unsere Aufgabe als Gastgeber ist es, Dinge zu zeigen, die man selbst nicht auf dem Schirm hat. Wir haben viele Gäste, die in ihren Leben sicher mehr Bordeaux getrunken haben, als ich. Und die geben mir auch Feedback. Da nehme ich persönlich auch viel mit. Solchen Gästen zeige ich auch mal Dinge aus kleinen Regionen, aus Übersee oder auch Klassiker, die ein bisschen in Vergessenheit geraten sind - wie etwa der Chablis. Wir servieren zum Beispiel Seezunge mit zwei Gängen, wo ich gerne einen Chablis Dauvissat oder Chablis Raveneau dazu reiche. Da sage ich immer: „Wissen Sie, das ist wie Schwarz, zeitlos - können Sie immer anziehen. Und den Wein können Sie auch immer trinken.“ Die Kombination ist einfach gut und passt harmonisch zusammen.

Gibt es im Bereich Champagner einen persönlichen Favorit?

Momentan bin ich großer Fan von Bérèche et Fils oder Ruppert Leroy. Für mich muss man auch beim Champagner sehen, dass es ein großer Wein ist. Champagner ist kein Produkt, mit dem man nur in kleinen Sektflöten eingeschenkt zum Geburtstag, an Weihnachten oder zu Silvester anstößt. Man kann damit auch tolle Speisekombinationen kreieren. Champagner ist immer sehr dankbar, da die Kohlensäure frisch macht. Als Sommelier kann man so leichter Kombinationen finden und sehr viel bewirken. Bollinger, Moet Chandon - das sind große Namen und Brands und es gibt auch einen Grund, warum man sie seit Jahren kennt: Einfach, weil sie gut sind und tolle Sachen machen. Der Winzer-Champagner ist dann das Add-on. Da ist für jeden Geldbeutel und jede Stilistik etwas dabei. Oft werden Sachen wie Moet ICE oder halbtrockener Champagner belächelt. Aber wie kommt man denn an Alkohole? Bei mir ging es auch mit Süßwein los. Man kennt Limonaden, Fanta, Cola, Fanta. Und dann hat man Süßwaren und das passt auch. Und wenn man dann einen halbtrockenen Champagner trinkt, das ist doch super. Den ersten Alkohol, den ich getrunken habe, war übrigens ein Bacardi Breezer. Süße ist immer ansprechend und ich verteufle solche Sachen nicht - ganz im Gegenteil

Was befindet sich in Deinem persönlichen Weinschrank?

Ich bin selbst ein großer Chardonnay-Fan. Man findet daher immer ein, zwei Flaschen davon bei mir.  Ich mag auch sehr gerne Chablis. Zum Beispiel den 2014er Chardonnay Bienenberg von Julian Huber. Der ist sensationell, sein erster Jahrgang davon. Wie gesagt, ich mag auch Kalifornien, bin ein großer Fan von Arnot Roberts. Ich werde nie trocken laufen, hoffe ich.

Jetzt gibt oft dieses Schubladendenken, nach dem Motto: Jemand trinkt einen Chardonnay und der schmeckt ja immer nach Holz. Wie schwierig ist es, Leute zu überzeugen, dass Chardonnay nicht unbedingt Chardonnay sein muss? Die Nuancen, wie bringt man die rüber?

Ich sage mal, wenn jemand wirklich eine Abneigung dagegen hat, dann bringt die brachiale Tour nichts. Ich vergleiche das immer mit Lamm. Wenn man einmal schlechtes Lamm gegessen hat, dann traut man sich nicht mehr ran. Viele internationale Gäste kommen zu uns und möchten dann etwas Deutsches. Aber bitte nein, kein Süßwein! Da international sehr viele süße Rieslinge exportiert werden, denkt man oft, dass deutscher Riesling immer süß ist. Aber hier gibt es auch trockenen Riesling. Und wenn unsere Gäste offen sind, dann finden wir sehr schnell eine tolle Alternative. Aber wir wollen nicht missionieren.

Welche geschmacklichen Kriterien muss ein Wein für Dich erfüllen, damit er bei Dir auf die Liste kommt?

Es ist immer die Frage, was ich gerade benötige. Manchmal suche ich zum Beispiel einen Wein, der ein breiteres Geschmacksspektrum abdeckt - etwa für ein Bankett mit 120 Leuten. Da kannst Du nicht an jedem Tisch stehen und sagen: „Wissen Sie, dieser Wein passt jetzt zu dem Gericht, weil…“. Das schaffst du gar nicht, also musst du ein breiteres Geschmacksspektrum abdecken. Dann gibt es auch Weine, die ich auf die Karte setze, weil ich persönlich Freude dran habe. Zum Beispiel  oxidativ ausgebaute Weißweine aus dem Jura, die traditionell eine gewisse Nussigkeit haben. Dem Gast erkläre ich dann, warum das so ist. Für mich ist schon wichtig, dass der Wein auch mir gefällt und dann auch das abdeckt, wofür ich ihn haben möchte. Aber erstes Kriterium ist, dass er mir gefällt und dass ich ihn trinken würde. Das ist das Wichtigste.

Also du musst persönlich wirklich dahinterstehen?

Genau. Sonst nehme ich ihn nicht auf die Karte. Da sollte man keine Kompromisse machen.

Du gehst Deinen Weg, Deine Linie und folgst dem, was Dir schmeckt. Eine gute Überleitung zur Begründung, warum Du Sommeliers des Jahres 2017 von Gault & Millau geworden bist: Mit profundem Wissen, dem 7. Sinn für Neues in der Weinwelt und feinem Gespür für die Gästebegleitung von einer hochkomplexen Küche, sehr individuell. Wie viel muss man probieren, um den 7. Sinn für Neues herauszubilden?

Ich glaube, beim Verkosten hört es nie auf. Ich habe einen sehr guten Freund, Steve Breitzke, der dieses Jahr witzigerweise österreichischer Sommelier des Jahres geworden ist. Wir schicken uns täglich Fotos von Weinen, die wir in der Weinbegleitung haben und so entstehen Dinge neu. Wenn man gerade am Lernen und Vorbereiten ist,  dann kommt einem auch die eine oder andere Idee und dann frischt man das wieder auf, sieht links und rechts was passiert uns zeigt Dinge neu auf. Der 7. Sinn? Schwierig. Selbst offen sein und sich nicht durch eigene Gedankenbrücken oder Schranken blockieren lassen - das hilft.

Hattest Du während Deiner Sommelier-Tätigkeit ein prägendes, schlimmes Erlebnis?

Absolut. Einem Stammgast in Hamburg habe ich einen 2000 Clos de Vougeot empfohlen. Der hat wirklich gutes Geld gekostet. Doch der Wein war in einer sehr verschlossenen Phase. Und ich habe mich nicht getraut, es zu sagen oder die Empfehlung zurückzunehmen. Der Gast hat später die Rechnung bekommen, gezahlt und gesagt: „Herr Franzelin, alles gut, aber der Rotwein der war total verschlossen. Sehr schade, dass Sie diese Empfehlung ausgesprochen haben.“ In dem Moment war für mich klar: Du musst deinen persönlichen Eindruck auch mitteilen, denn der Gast muss zufrieden sein. Selbst wenn du die Empfehlung ausgesprochen hast und sagst: „Tut mir leid, der Wein ist wirklich nicht in der Phase, in der ich ihnen den zeigen möchte.“ Oder man nimmt den Wein zurück. Der Gast erkennt, hier geht es nicht nur darum, zu verkaufen, sondern wirklich ein Optimum herauszuholen. Das war ein sehr prägender Tag für mich.

Und umgekehrt: Gab es mal eine Persönlichkeit oder einen Gast, wo du sagst: „Wow, war toll den zu bedienen?

Großartig war U2 mit Bono. Die Band kam erst kurz nach 2 Uhr und fragte: „Is der famous Mr. Wissler da. Mit dem Michelin-Star?“ Ja das war er! Aber wenn man spät kommt, müsse man sich in der Küche entschuldigen und fragen, ob es möglich sei, noch etwas zu essen zu bekommen, antwortete ich ihm. „Let’s go to the kitchen!”, sagte Bono. Es gibt wenige Menschen auf der Welt, die weniger bekannt sind, als er.  Und trotz Weltstar-Status war er richtig offen. Das war sehr beeindruckend. Ansonsten: Wir haben einen Stammgast, der auch noch nach zwei Schlaganfällen kommt. Essen gehen ist ihm so wichtig, dass er jeden zweiten Samstagmittag seine fünf Gänge bei uns isst und dazu eine schöne Flasche Wein trinkt. Das ist sein Genuss und den lässt er sich nicht nehmen. Auch das beeindruckt mich. Essen und Trinken ist Lebensgefühl und Lebensqualität.

Früher gab es ja immer die Regel: Weißwein zu Fisch, Rotwein zu Fleisch. Hat diese Regel noch seine Gültigkeit?

Es passt, was schmeckt. Und wenn ich lieber Weißwein trinke, dann trinke ich eben Weißwein zum Rindersteak. Und wenn ich Rotwein mag, dann trinke ich halt meinen Rotwein zur Seezunge. Wenn ich eine Empfehlung ausspreche, gehe ich von den Komponenten aus, die ich zur Verfügung habe. Da spielen Jahreszeiten eine Rolle, genauso wie das, was auf den Teller kommt. Ich selbst bin zum Beispiel ein großer Herbst- und Winterfreund. Dann ist es kalt und die Rotweine dürfen ein bisschen mehr Kraft, eine opulentere Frucht und mehr Körper haben. Im Sommer empfehle ich leichtere, frischere Rotweine. Ich finde, man kann auch mit einem Rotwein beginnen. Warum denn nicht?  Das Gericht zeigt dir, was du machen kannst. Und nicht irgendwelche Regeln, die in einem Buch stehen, persönliche Erfahrung und Inspiration zählen. 

Rotwein muss immer in Zimmertemperatur getrunken werden?

Zimmertemperatur wäre bei uns hier im Sommer um die 38 Grad - und das  wäre ein bisschen gefährlich. Wir haben unseren Klimaschrank für den Rotwein auf 13 Grad eingestellt. Ich bringe den Wein lieber ein bisschen kühler zum Tisch, warm wird er von alleine und runterkühlen ist eine schwierige Sache. Wenn man etwa Rotwein auf Eis legt, wäre das ein sehr starker Eingriff in den Wein. Von daher lieber kälter servieren und man sieht, wie sich der Wein entwickelt, weil er mehr von dieser kühlen, fruchtigen Note und ein stärkeres Aroma hat.

Sollte ein Rotwein, der viel Alkoholgehalt hat, eher kühler oder eher wärmer serviert werden?

Wir bieten hin und wieder zum Dessert gespritzte Süßweine an. Da sage ich immer: gerne kühler. Da kommt mehr die aromatisierte Seite, als die alkoholische durch. Die einzige Rebsorte, wo ich pauschal sage, sie sollte 13 Grad getrunken werden, ist Pinot. Einfach, weil er durch Wärme an Finesse und Eleganz verliert.

Es ist ja immer interessant, wenn Weine mit der Zeit Facetten entwickeln. Gibt es da spezielle Kombinationen oder Rebsorten wie etwa ein Sauvignon Blanc? 

Ich finde es im Restaurant auch immer schwierig, wenn man eine Empfehlung ausspricht, die der Gast nicht kennt. Man lässt ihn probieren und der Wein gefällt. Nach einer halben, dreiviertel Stunde sagt er dann: „Jetzt kommt der Wein richtig. Das ist eine tolle Empfehlung.“ Es ist eigentlich nicht fair für den Wein, sich frisch zeigen zu müssen. Weine für die Weinbegleitung öffnen wir daher bereits um 17.30 Uhr, karaffieren sie und gegenkaraffieren sie wieder auf die Flasche. So hat sich der Wein einmal gedreht und ein bisschen Luft gehabt. Unsere Weine in der Weinbegleitung sind so bestens präpariert. Aber bei den Flaschenweinen ist es eben schwierig. 

Würdest Du das auch als Hometipp für eine gute Flasche Wein aussprechen? Ruhig vorher öffnen, karaffieren und dann wieder in die Flasche zurückführen?

Es gibt Studien, die belegen, dass Wein früher geöffnet werden soll. Aber das Einzige, was in einer geöffneten Flasche Luft kriegt, ist der obere Teil. Besser ist: Einmal karaffieren und dann wieder zurück. So dreht er sich komplett, kriegt Luft und kann wieder in die Flasche. Damit ist er  vorbereitet für den Abend.

Wie wichtig ist die Qualität und Richtigkeit der Weingläser?

Man tut Wein unrecht, wenn man ihn in zu kleine Gläser schenkt. Für mich sind viele Gläser viel zu klein. Man braucht eine gewisse Größe. Doch viel wichtiger ist für mich die Temperatur. Wenn der Wein zu kalt ist, dann schmeckt er nach kaltem Wein - und da ist es egal, ob ich ein großes Gewächs aus dem Rheingau, Rheinhessen oder der Pfalz habe.  Er schmeckt einfach nach kaltem Riesling. Wobei das auf den persönlichen Geschmack ankommt:  Wenn jemand sagt, ich trinke meinen Weißwein immer eiskalt, dann trinkt er ihn eben eiskalt.

Wie vielfältig doch das Thema ist.  Und das Schöne am Wein ist doch, dass die Lernkurve nie aufhört, oder?

Sobald man der Meinung ist, man hat einen Punkt erreicht, wo man sich zufriedengeben kann, ist das ein Rückschritt. Übrigens auch in anderen Berufen.  Man darf nie aufhören, zu lernen. 

Gibt es eine Flasche Wein, die Dich persönlich am meisten beeindruckt hat? 

Vielleicht war es ein 1997 Cabernet Sauvignon von Corison. Ein Augenöffner für mich, wie fein und elegant die Weine aus Kalifornien sein können.  Oder ein El Bandito, den mir Thomas Sommer mal im Schloss Lerbach serviert hat. Wo ich auch gesagt habe: „Wow, was habe ich da im Glas?“ Es sind oft Weine, die man mit Personen verbindet. Und das ist nicht nur der Winzer, sondern auch die Person, die mir das mal offeriert hat.

Das heißt:  Wein ist auch immer Emotion?

Absolut.  Und wenn man sich fragt, was war der größte Wein, den man je getrunken hat, sollte man immer die Verbindung dazu sehen. Alles zählt: Die Umgebung und die Menschen, die dabei sind.

Du bist erst 29 und schon als Sommelier des Jahres ausgezeichnet vom Gault & Millau. Wo soll die Reise noch hingehen?

Ich könnte mich jetzt auch am Höhepunkt meiner Karriere sehen und diese Bühne nutzen, um meinen Rücktritt bekannt zu geben. Was gibt es noch zu erreichen? Nein, ich sage immer, ich bin jetzt dreieinhalb Jahre da und gerade in so einer Position, beginnt die eigentliche Arbeit erst nach zwei bis drei Jahren. Wenn man sich wirklich seine Basis geschaffen hat. Vorher arbeitet man Dinge auf, die von den Kollegen davor noch im Keller liegen und an der  Vertrauensbasis zum Gast. Beim ersten, zweiten Mal schauen sich die Gäste an, wie man alles macht und bestellen selbst. Irgendwann sagen sie: „Sie haben das letzte Mal sowas Gutes empfohlen. Machen Sie das doch wieder.“ Und das ist der Moment, wo man richtig losarbeiten und sein eigenes Profil schärfen kann. Ich denke, es geht jetzt erst richtig los.

Als Sommelier in einer Drei-Sterne-Spitzenküche, kommt man da überhaupt noch dazu, andere Restaurants zu sehen?

Schwierig ist das in der Hinsicht, dass wir Montag und Dienstag geschlossen haben und die meisten Kollegen ebenso. Für mich ist Essen gehen aber ganz wichtig und eine Motivationssache. Immer nach dem ich bei Kollegen essen gewesen bin, bin ich motivierter und inspirierter. Ich denke: „Toll, das könntest Du vielleicht auch so machen.“ Oder probiere es mal über den und den Ansatz.

Wenn Du Urlaub machst, fährst Du dann eher auch in Weinbaugebiete?

Absolut. Man versucht das schon ein bisschen zu verbinden. Zum Beispiel letztes Jahr auf Mallorca:  Ich platziere immer gerne am Anfang der Reise ein Weingut, wo man verkosten kann. Und bei der Gelegenheit kann man die Winzer großartig nach Tipps in der Region fragen und wo man gut essen geht.

Vielen lieben Dank für dieses interessante Gespräch Marco und weiterhin viel Erfolg!

 

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